Am 29.6.2020 hat der Bundestag ein weiteres Konjunkturpakets beschlossen, damit die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abgemildert werden können. Ein wichtiger Punkt der Maßnahmen ist die befristete Senkung der Umsatzsteuer im 2. Halbjahr 2020. Die Umsatzsteuer wird vom 1. Juli  2020 bis 31. Dezember 2020 von 19 % auf 16 %, bzw.  von 7 % auf 5 % (ermäßigter Steuersatz) gesenkt. Hierzu hat das Bundesministerium der Finanzen ein begleitendes BMF-Schreiben auf seiner Internetseite veröffentlicht.

Grundsätzlich stellt die Änderung von Umsatzsteuersätzen für die Wirtschaft einen nicht zu unterschätzenden administrativen Aufwand dar. Es müssen Angebote und Verkaufspreise neu kalkuliert und ERP-Systeme und Rechnungsprozesse entsprechend angepasst werden. Nachfolgend sollen auf Grundlage des BMF-Schreibens einige praxisrelevante Punkte kurz skizziert werden.

1. ALLGEMEINES

Die neuen Umsatzsteuersätze von 16 % bzw. 5 % sind auf Lieferungen, sonstige Leistungen und innergemeinschaftliche Erwerbe anzuwenden, welche zwischen dem 1. Juli  2020 und dem 31. Dezember 2020 bewirkt werden. Zu prüfen ist daher zunächst, wann die jeweilige Leistung ausgeführt worden ist, um die korrekte Anwendung des Steuersatzes vorzunehmen.

Allgemein wird die Ausführung einer Leistung wie folgt bestimmt:

Lieferungen gelten dann als ausgeführt, wenn der Leistungsempfänger die Verfügungsmacht an dem jeweiligen Gegenstand erhält. Wird der Gegenstand der Lieferung befördert oder versendet, so ist die Lieferung bereits mit Beginn der Beförderung bzw. Versendung ausgeführt.

Sonstige Leistungen werden dann ausgeführt, wenn sie vollendet sind. Bei zeitlich eingrenzbaren Dauerleistungen werden die Leistungen dann ausgeführt, wenn ein Leistungsabschnitt abgeschlossen ist (z.B. Monatsmiete), sofern keine Teilleistungen vorliegen.

Ein innergemeinschaftlicher Erwerb wird dann ausgeführt, wenn eine Rechnung ausgestellt wird, spätestens allerdings mit Ablauf des dem auf den Erwerb folgenden Monats.

Wie bereits angesprochen, kann auch durch eine abgeschlossene Teilleistung eine Leistung als ausgeführt angesehen werden. Damit eine solche Teilleistung gegeben ist, müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:
Es muss sich zum einen um eine wirtschaftlich sinnvoll abgrenzbare Leistung handeln und es muss eine Vereinbarung über die Ausführung der einzelnen Teilleistung vorliegen und die Teilleistung muss gesondert abgenommen und auch in Rechnung gestellt werden.

2. DAUERSCHULDVERHÄLTNISSE

Durch die Änderung der Steuersätze ergeben sich auch Auswirkungen auf Leistungen, welche im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen erbracht werden.

Bei solchen Dauerleistungen kann es sich um Lieferung (z.B. von Baumaterial) oder auch um sonstige Leistungen (Vermietung, Wartungen, Leasing) handeln. Welcher Zeitpunkt für die Besteuerung maßgebend ist, richtet sich in beiden Fällen nach dem Ausführungsdatum der Leistung.

Im Falle einer sonstigen Leistung gilt die Leistung als an dem Tag ausgeführt, an dem der vereinbarte Leistungszeitraum endet (vgl. Abschnitt 13.1 Abs.  3 UStAE). Bei wiederkehrenden Lieferungen ist hingegen auf den Tag jeder einzelnen Lieferung abzustellen.

In den Fällen von Dauerleistungen gilt grundsätzlich, dass bei Leistungen, welche noch bis Ende Juni 2020 erbracht wurden, der „alte Steuersatz“ Anwendung findet. Für Leistungen, die erst im Juli 2020 ausgeführt werden, findet der verringerte Steuersatz (16 % bzw. 5 %) Anwendung. Zu beachten ist, dass dies selbst dann gilt, wenn einzelne Leistungen für einen bestimmten Zeitabschnitt gemeinsam abgerechnet werden.

Beispiel: Die Miete für ein Büro wird quartalsweise abgerechnet, so hat die Rechnungstellung für das 3. Quartal (Juni, Juli und August 2020) wie folgt auszusehen: Der Monat Juni muss mit dem alten Steuersatz (19 %), die Monate Juli und August mit dem neuen Steuersatz (16 %) abgerechnet werden. Andernfalls kann es sich um eine sog. § 14c UStG Steuer handeln, d.h. sie wird gesetzlich vom Rechnungsaussteller geschuldet.

3. ANZAHLUNGEN

In vielen Branchen, insbesondere der Baubranche, werden im Rahmen der „Istversteuerung“ üblicherweise Anzahlungen für in der Zukunft zu erbringende Leistungen vereinbart. Hier kann sich abhängig vom betroffenen Leistungszeitraum Anpassungsbedarf bei der Rechnungsstellung und Besonderheiten bei der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung ergeben.

Sofern Anzahlungen für nach dem 30. Juni 2020 erbrachte Leistungen vor dem 1. Juli  2020 vereinnahmt wurden, ist nachträglich der reduzierte Steuersatz von 16 % bzw. 5 % anzuwenden. Folglich ist auf der Rechnung ebenfalls der reduzierte Steuersatz ausweisen. Auf eine nachträgliche Berichtigung für mit dem alten Steuersatz ausgestellte Rechnungen kann gemäß dem BMF-Schreiben verzichtet werden, wenn eine Schlussrechnung die Umsatzsteuer für die gesamten Leistungen mit dem reduzierten Steuersatz von 16 % bzw. 5 % ausweist.

Wurden Anzahlungen für nach dem 30. Juni 2020 ausgeführte Leistungen bereits mit 19 % bzw. 7 % besteuert, erfolgt eine Korrektur in den jeweiligen Umsatzsteuervoranmeldungen in Kennziffer 81 bzw. 86 durch Erfassung einer negativen Bemessungsgrundlage.

Umgekehrt gilt, dass für nach dem 30. Juni 2020 vereinnahmte Entgelte für vor dem 1. Juli  2020 erbrachte Leistungen der „alte“ Steuersatz von 19 % bzw. 7 % Anwendung findet.

Weitere Einzelheiten sind dem BMF-Schreiben zu entnehmen.

4. AUSFÜHRUNG UND ABRECHNUNG VON TEILLEISTUNGEN

Werklieferungen oder Werkleistungen unterliegen bei Abschluss bzw. Ausführung zwischen dem 1. Juli  2020 und dem
31. Dezember 2020 grundsätzlich insgesamt den reduzierten Umsatzsteuersätzen von 16 % bzw. 5 %. Etwas anderes gilt nur soweit Werklieferungen und Werkleistungen wirtschaftlich teilbar sind und in Teilleistungen erbracht werden.

Eine vor dem 1. Juli  erbrachte Teilleistung liegt vor, wenn:

• es sich um einen wirtschaftlich abgrenzbaren Teil einer Werklieferung oder Werkleistung handelt

•  der Leistungsteil, der Teil einer Werklieferung ist, vor dem 1. Juli  2020 abgenommen worden ist. Ist er Teil einer Werkleistung, muss er vor dem 1. Juli  2020 vollendet oder beendet worden sein.

•  vor dem 1. Juli  2020 vereinbart wurde, dass für Teile einer Werklieferung oder Werkleistung entsprechende Teilentgelte zu zahlen sind. Sind für Teile einer Werklieferung oder Werkleistung zunächst keine Teilentgelte gesondert vereinbart worden, muss die vertragliche Vereinbarung vor dem 1. Juli  2020 entsprechend geändert werden.

•  das Teilentgelt gesondert abgerechnet wird.

Sofern eine Teilleistung die o.g. Kriterien erfüllt, ist der alte Steuersatz anzuwenden.

5. GUTSCHEINE

Bei Gutscheinen ist im Hinblick auf die Anwendung des korrekten Umsatzsteuersatzes zunächst zwischen Einzweck- und Mehrzweckgutscheinen zu unterscheiden.

Gem. § 3 Abs. 14 Satz 1 UStG muss für das Vorliegen eines Einzweckgutscheins der Ort der Lieferung oder der sonstigen Leistung, auf welchen sich der Gutschein bezieht und die für diese Umsätze geschuldete Steuer zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins bereits feststehen. Somit finden ab 1. Juli  2020 für Einzweckgutscheine die neuen Steuersätze Anwendung.

Bei einem Mehrzweckgutschein stehen hingegen im Zeitpunkt der Ausstellung noch nicht alle Angaben für die zuverlässige Bestimmung der Umsatzsteuer fest. Im Falle eines Mehrzweckgutscheins unterliegt im Gegensatz zum Einzweckgutschein erst die tatsächliche Lieferung bzw. die tatsächliche Erbringung der sonstigen Leistung der Umsatzsteuer, weshalb die Besteuerung erst bei Einlösung des Gutscheins und nicht bereits bei dessen Ausgabe (Einzweckgutschein) durchgeführt wird.

Bei Mehrzweckgutscheinen finden daher die neuen Steuersätze Anwendung, wenn sie zwischen dem 1. Juli 2020 und dem 31. Dezember 2020 eingelöst werden.

6. EINZELFÄLLE

Das BMF-Schreiben enthält eine weitere detaillierte Beschreibung von Einzelfällen. Hierbei handelt es sich um die Änderung von Bemessungsgrundlagen, die Erstattung von Pfandbeträgen, die Gewährung von Jahresboni, Jahresrückvergütungen, die Besteuerung von Telekommunikationsdienstleistungen, die Besteuerung von Strom-, Gas- und Wärmelieferungen, die Besteuerung von Personenbeförderung, die Besteuerung von Umsätzen von Handelsvertretern und -maklern, den Umsätzen im Gastgewerbe sowie dem Umtausch von Gegenständen.

7. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Wir raten dringend dazu folgende Maßnahmen zu treffen, um auf die Steuersatzänderung zu reagieren:

•  Prüfung von langfristigen Verträgen und der AGB, ob Brutto- oder Nettovereinbarungen gegeben sind.
•  Überprüfung und Vorbereitung einer möglichen Anpassung bei bestehenden Dauerrechnungen
(wie z.B. bei Dauermietrechnungen).
•  Umstellung im ERP-System, der Rechnungssoftware / Ausgangsrechnungen sowie der Kassen.
•  Umstellung der Rechnungsprüfung bei Eingangsrechnungen.
•  Berücksichtigung der Steuersätze bei Angeboten und Verkaufspreisen nach dem 1. Juli  2020

Für weitere Informationen oder Fragen kontaktieren Sie bitte Ihren gewohnten Ansprechpartner in unserer Kanzlei.